Siegfried Jahn und Rudolf Oeser:
Indianer Nordamerikas auf historischen Postkarten.
Passage-Verlag, Holbein-Straße 28 B, Leipzig, 2018. 264 Seiten, € 39,95 ISBN 978-3954150717

Die Kultur und Geschichte der Indianer Nordamerikas wird in diesem Buch anhand von über 700 Ansichtskarten gezeigt und mit Texten beschrieben. Im "Goldenen Zeitalter" der Ansichtskarte zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Deutschland ein Zentrum der Postkartenproduktion. Jährlich wurden über 20 000 Tonnen gedruckte Postkarten in die Vereinigten Staaten geliefert, darunter eine Vielzahl mit Indianermotiven. Die oft seltenen, sonst nirgends publizierten Motive wurden rasch zu begehrten Sammlerobjekten und blieben auf diese Weise bis in die Gegenwart erhalten. Sie vermitteln uns einen Einblick in die Vielfalt der indianischen Kulturen Nordamerikas.  

Rezension von Dietmar Kügler in der Zeitschrift Magazin für Amerikanistik 4/2018: 
Es gibt Bücher von denen man gelegentlich träumt, von denen man aber annimmt, daß sie niemals erscheinen. Manchmal jedoch werden solche Träume wahr, und dann erscheint ein derartig besonderes Buch. So wie in diesem Fall.
Das vorliegende Werk aus der Feder von zwei leidenschaftlichen Fachkennern ist eine wahre Pracht. Schon das Durchblättern macht geradezu atemlos.
"Indianer" waren immer ein ungemein populäres Thema in Deutschland. Besonders vom 19. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre hinein. Ab dann gab es immer mal wieder "Wellen" von unterschiedlicher Intensität. Bilder von Indianern waren daher immer gefragt. Sie lösten Träume aus. Von einem freien Leben auf weiten Prärien. Von Nächten am Lagerfeuer unter einem gewaltigen Sternenhimmel. Sie vermittelten Romantik und Abenteuer. Die Wirkung solcher Bilder ist noch immer nicht verblaßt.
Auch in den USA waren Postkarten mit indianischen Motiven gesucht. Vor allem zur Zeit der großen Wild West Shows, von Buffalo Bill über Pawnee Bill bis zur 101 Ranch Real Wild West - sie und viele andere tourten mit echten Indianern durch Nordamerika, Kanada und den Rest der Welt. Das war zu einer Zeit, als man auch in den USA überzeugt war, daß die Indianervölker untergehen würden. Fotopostkarten, häufig damals noch handkoloriert, gehörten zum Marketing dieser Shows. Millionen von Besuchern nahmen sich die bunten Bildchen mit nach Hause - in Zeiten vor Film und Fernsehen das einzige Medium, das die exotischen Gestalten aus dem Fernen Westen konservieren konnte.
Was den vielen Käufern vermutlich gar nicht so bewußt war - die allermeisten dieser Postkarten waren in Deutschland gedruckt worden. Deutschland war in jener Zeit führend in der Druckindustrie. Das Land von Johannes Gutenberg beherrschte diesen Markt nahezu weltweit. Amerika lag diesbezüglich technisch weit zurück. Deutschland spielte in diesem Zusammenhang damals eine Rolle wie heute asiatische Herstellungsbetriebe. Jährlich wurden über 20.000 Tonnen Bildpostkarten in die USA geliefert. Der Rezensent selbst erinnert sich, als er vor rd. 40 Jahren erstmals Original-Postkarten der Buffalo Bill Show in die Finger bekam, daß er von dem Aufdruck "Made in Germany" irritiert war.
Siegfried Jahn ist vor allem als Kenner der östlichen Indianervölker bekannt geworden. Für dieses Buch hat er seine Schatztruhe geöffnet. Was dieser Band bietet, ist nur ein kleiner Teil seiner gesamten Sammlung. Es ist eine absolut grandiose Dokumentation in vielfacher Hinsicht. Da ist einmal die Geschichte der Bildpostkarte im Allgemeinen. Da ist die Geschichte der Druckindustrie. Da ist die Geschichte der Völkerschauen und frühen Wild West Shows. Und da sind die Postkarten als frühe fotografische Zeugnisse der Indianerkulturen, die - zumindest teilweise - heute sogar wissenschaftlich-völkerkundliche Bedeutung haben.
Dieses Buch ist nicht nur eine visuelle Freude, sondern ein kulturelles Denkmal. Es ist die Bewahrung eines physischen und geistigen Erbes von zeitlosem Wert. Eine dauerhafte Konservierung von Wissen. Und damit ist es ein Musterbeispiel für das, was ein Fachbuch sein sollte.
Der Anspruch der Autoren an sich selbst war offensichtlich hoch. Die Struktur des Werkes ist überzeugend, wie schon die Kapitelüberschriften belegen:
- Postkarten und ihre Geschichte / Fotografie und Drucktechnik / Deutschland als ein Zentrum der Ansichtskartenproduktion - Indianerkriege und Vertreibung - Familienleben der Indianer, Frauen und Kinder, Leben in Tipis, Brauchtum, Kunsthandwerk, Jagd und Nahrungszubereitung, religiöses Brauchtum, Tänze und Bestattung, Dorfleben und Totempfähle - Indianerstämme: Abenaki, Micmac, Maliseet, Iroquois, Menominee, Ojibwa, Ottawa, Potawatomi, Sauk und Fox, Seminole, Cherokee, Sarcee, Assiniboin und Stoney, Blackfoot, Cheyenne und Arapaho, Crow, Gros Ventres, Plains Cree, Sioux (Dakota und Lakota, Häuptling Sitting Bull), Comanche und Kiowa, Osage, Kansa / Kaw, Oto, Ponca, Pawnee, Nez Percé, Cayuse, Yakima, Umatilla und Kalispel, Flathead, Spokane, Shoshone, Paiute, Ute, Maricopa, Mojave, Havasupai, Walapai, Pima und Papago, Apache, Navajo - Neue Zeiten - Das 20. Jahrhundert: Indianer-Musiker, Souvernirherstellung für Touristen, Schaudörfer, Musa Isle Indian Village, Tropical Hobbyland, Indianer in Tierpark, Zirkus und Ausstellungen, Buffalo Bill's Wild West, Zirkusaufführungen und "Völkerschauen"
Dieses Werk ist eines der schönsten und inhaltsreichsten populären Indianerbücher, die in den letzten Jahren in Deutschland erschienen sind. Eine grandiose Leistung der Autoren, aber auch eine bewundernswerte Leistung des Verlags - so ein aufwändiges Buch zu produzieren ist angesichts der Zustände auf dem heutigen Buchmarkt aller Anerkennung wert.
Dieses Buch sollte Erfolg haben. Es ist in jeder Beziehung verdient. Der Kauf ist höchst empfehlenswert.  

Rezension von Monika Seiller in der Zeitschrift Coyote Nr. 118 - 2019: 
Während heute Postkarten meist als Werbeträger oder Veranstaltungsinfos, aber auch als gelegentlicher Urlaubgruß präsent sind, waren sie in Zeiten vor Internet und SMS nicht nur ein wichtiges Kommunikationsmittel, sondern auch seit Anbeginn ein Sammlerobjekt, das mitunter ganze Sammelalben füllte – zumeist mit einem Themenschwerpunkt. Siegfried Jahn hat sich auf "Indianerpostkarten" spezialisiert. 700 seiner Sammlerobjekte hat der ehemalige Buchhändler aus Leipzig im prächtigen Band „Indianer Nordamerikas auf historischen Postkarten“ veröffentlicht, den er zusammen mit dem Zwickauer Historiker Rudolf Oeser, Mitherausgeber der „Amerindian Research“ verfasste.  
Neben einer Einführung in die Geschichte der Postkarten und deren Herstellung untergliedern sich die einzelnen Kapitel nach Kulturkreisen bzw. Regionen wie etwa Nordwestküste, Plains oder Subarktis. Ein eigenes abschließendes Kapitel widmet sich dem 20. Jahrhundert mit seinen Ausstellungen, Wild-West-Touren und "Völkerschauen", aber auch der gezielten Produktion von Postkarten als Souvenirs.  
Einführend erläutern die Autoren die technische Entstehungsgeschichte der Postkarte und deren wachsende Verbreitung, die manch kuriose Blüten trieb. Wer hätte schon gewusst, dass selbst "Indianerpostkarten" für den amerikanischen Markt in Deutschland produziert wurden, die dann wiederum von Reisenden in den USA gekauft und nach Europa versandt wurden. Mit der technischen Weiterentwicklung und Vereinfachung der Druckverfahren wuchs der Markt rasch bis zu seinem Höhepunkt um 1900. Befördert wurden das Interesse und der Verkauf von Postkarten durch die Vielzahl an Auswanderern in die USA, die mittels Postkarten den Kontakt zur alten Heimat und Familie hielten – oder sich gar noch in Europa vor der Auswanderung ein erstes Bild ihrer künftigen Heimat verschafften. Zudem wuchs mit dem technischen Fortschritt und moderneren Verkehrsmitteln auch die Zahl der Reisenden in den USA, die vor der Erfindung von Selfies die Postkarten auch als Souvenir mit nach Hause brachten. Die Einführung in die Geschichte der Postkarte ist knapp, aber informativ gehalten und erlaubt manche interessanten Einblicke.  
Jahns Postkartensammlung beeindruckt nicht nur mit der schieren Zahl und Opulenz, sondern überrascht durch ihr breites Spektrum, das eben nicht nur mit den üblichen Häuptlingsdarstellungen und "Prärie-Idylle" aufwartet, sondern geradezu eine ethnologische Gesamtschau der indianischen Kulturen in all ihren Facetten bietet. Sicherlich ist auch die Begeisterung für diese Postkarten Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts auf das Interesse an der "Vanishing Race" zurückzuführen, da der Betrachter bzw. Käufer schon damals ahnte, dass die dargestellten Kulturen bereits vielfach der Vergangenheit geweiht waren und bald großen Umwälzungen ausgesetzt sein würden. Ganze Postkartenreihen thematisierten die "Letzten ihres Volkes“. Ethnologen wie Franz Boas, der sich früh gegen den Rassismus in den USA wandte, oder auch Photographen wie Curtis oder Edison waren sich bewusst, dass sie das Erbe dieser Kulturen bewahren mussten, bevor sie der Dominanz der amerikanischen (oder auch kanadischen) Gesellschaft zum Opfer fallen würden. Viele ihrer Photographien wurden – neben Reproduktionen von Zeichnungen – als Postkarten gedruckt und fanden großen Anklang.  
Tatsächlich sind die abgebildeten Postkarten von hohem historischem Wert, denn so widmen sich ganze Serien Alltagsgegenständen, Behausungsformen, Bekleidung, Brauchtum oder Handwerkskunst bis hin zum Familien- oder Sozialleben oder zeremoniellen Festen und Tänzen und bieten damit einen umfassenden Einblick in den Alltag der indigenen Völker und Kulturen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts.  
Zugleich unterziehen die Autoren die Darstellung "der Indianer" einem kritischen Blick, denn natürlich waren auch damals die Indigenen Projektionen und Stereotypisierung ausgesetzt, die nicht selten rassistische, mitunter auch einfach kitschige Züge annahmen, z. B. eine Postkarte mit dem Untertitel "Will you be my squaw?", der romantischen Verklärung dienten wie die zahlreichen "Hiawatha"-Postkarten oder gar der Rechtfertigung des weißen Expansionsdrangs dienten. Es gab sogar Postkarten von Little Bighorn und "Custer's Battlefield", aber auch historische Darstellungen der frühen Besiedlung bzw. Vertreibung und der ersten Indianerkriege.  
Die Kapitel zu den Kulturräumen sind in Unterabschnitte gegliedert, in den die verschiedenen Völker kurz vorgestellt werden – und auch die Provinienz der Postkarten erläutert wird. Zudem wird jede einzelne Postkarte hinsichtlich Darstellung, Entstehung und Korrektheit der Zuschreibungen oder Beschriftungen in kurzen Texten kommentiert. Häufig gab es Fehler in der Zuschreibung der jeweiligen Personen oder indigenen Völker, vor allem in der Schreibweise. Da – wie bereits anfangs erwähnt – viele der Postkarten in Deutschland für den amerikanischen Markt produziert wurden, schlichen sich immer wieder orthographische Fehler ein, da die Drucker vor einem Jahrhundert natürlich der englischen Sprache nicht mächtig waren, Namen, Völker oder Orte nicht kannten und daher falsch, schrieben.  
Ein eigenes Kapitel bildet das frühe 20. Jahrhundert, denn mit dem Tourismus entfaltete sich die Herstellung von Souvenirs und die ersten "Schaudörfer" wie das Musa Isle Indian Village (Seminolen) oder das Tropical Hobbyland entstanden. Zudem erfreuten sich Wild-West-Shows, Ausstellungen und Zirkusauftritte großer Beliebtheit, was wiederum in Postkarten vermarktet wurde.  
Leider endet damit die Darstellung der "Indianer Nordamerikas auf historischen Postkarten", denn es wäre natürlich interessant, welches Spektrum die Projektionen oder authentischen Abbildungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bzw. in der Gegenwart umfassen. Curtis-Postkarten sind in jedem modernen Antiquariat stapelweise zu finden und das 19. Jahrhundert scheint zu dominieren. Allenfalls gibt es ein paar Postkarten für Kindergeburtstage oder Esoterikkitsch und vereinzelt vielleicht auch noch ein paar Winnetou- oder besser Pierre-Brice-Fankarten bei Ebay, doch die Hochzeit der Indianer-Postkarten ist vorbei. Umso verdienstvoller ist es, dass sich die Autoren der Aufgabe angenommen haben, das breite Feld kompetent und eingehend zu präsentieren, denn es handelt sich keineswegs nur um typisch deutsche Indianerbegeisterung, sondern um einen aufschlussreichen Beitrag zur Rezeption der "Indianer".

 



AmerIndian Research
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